Betonieren und gentrifizieren
Wie man den schönsten Stadtteil Rosenheims allmählich kaputtbaut
Was die Kastenau immer ausgemacht hat, waren das viele Grün und der eher dörfliche Charakter. Bei
der Entstehung der Kastenau in den 30er Jahren war das nicht das Ziel des NS-Siedlungsbaus, man
wollte vor allem den kinderreichen Volksdeutschen mit der heimischen Scholle verbinden und hat ihm
deswegen ein kleines Häuschen mit viel Grund zur Selbstversorgung überlassen. Diese gut 800 m² pro
Parzelle waren für die Auserwählten natürlich ein Traum, aber rein finanziell gesehen waren die Kaste-
nauer Grundstücke nicht viel wert, handelte es sich doch um ein permanentes Überschwemmungsge-
biet und später sogar um ein sozial problematisches Viertel in unmittelbarer Nachbarschaft der Müll-
halde der Stadt Rosenheim.
Das Resultat dieses sicher diskussionswürdigen NS-Konzepts war ein Stadtteil, der über mehr Grünflä-
chen verfügte als jeder andere. Auf jedem Grundstück standen ein bis zwei Bäume, mehrere Büsche
und seit den 70ern auch fast überall Hecken. Ganz nebenbei entwickelte sich eine Art Dorfgemeinschaft,
da die Menschen alle aus derselben Arbeiterklasse, aus der Landwirtschaft oder aus dem Handwerk
kamen. Das nachbarschaftliche Miteinander war selbstverständlich, Vereinsleben entstand in vielfältiger
Weise und man sprach dieselbe Sprache.
Heute ist die Kastenau ein interessantes Eldorado für Spekulanten, Investoren und Bauunternehmer.
Das Hochwasserrisiko besteht kaum mehr, die Verkehrsanbindung ist optimal, der Freizeitwert überra-
gend und vor allem der Münchner Speckgürtel hat Rosenheim mittlerweile erreicht. Die Preise für die
Grundstücke des ehemaligen Sozialprojekts gehen durch die Decke, weil es ausreichend Interessenten
aus dem Großraum München gibt, die bereit sind, eine Million für eine Luxusdoppelhaushälfte ohne
Garten zu bezahlen.
Es etabliert sich gerade der Bau von vier Doppelhaushälften auf diesen Standardparzellen, wobei ma-
ximal 10m² „Gartenfläche“ pro Wohneinheit eingeplant werden. Die üblichen zwei SUVs pro Wohnein-
heit finden irgendwo auf den „geräumigen“ Kastenauer Straßen Platz. Ein Paradebeispiel für dieses
Konzept wird gerade in der Kastenauer Straße 31 verwirklicht, wohlgemerkt von einer einheimischen
Kastenauerin. Andere Beispiele finden sich am Ulmenweg 7 und an der Kastenauer Straße 22.
Die entscheidende Frage, die sich stellt, ist, warum der Bauausschuss Rosenheim solche Bauprojekte
genehmigt. Für die Kastenau gibt es keinen Bebauungsplan. Das ist sehr erfreulich für die Bauunter-
nehmer und macht es den Behörden sehr einfach. Es gibt nur das sehr vage Kriterium der „Ortsüblich-
keit“. Als einfältiger Laie würde man große Grundstücke mit kleinen Einfamilienhäusern als ortsüblich
einstufen. Wie aber kommt es zu der Einschätzung, dass Münchner Stadtvillen mit einer Maximalver-
siegelung der Grundstücksfläche ortsüblich sind? Wie kann es sein, dass von 860 m² Grundstücksfläche
nur noch 40 m² Grünfläche bleiben, auf der kein einziger Busch, geschweige denn Baum Platz findet?
Die Totschlagargumente sind freilich die „Nachverdichtung“ und die „Wohnraumschaffung“. Betrachtet
man die Wohnraumschaffung näher, wird die Scheinheiligkeit schnell deutlich, denn der Bedarf an be-
zahlbarem Wohnraum, der in Rosenheim sicherlich vorhanden ist, wird durch solche Projekte nicht ge-
deckt. Kein Rosenheimer Durchschnittsverdiener freut sich über die Schaffung von Doppelhaushälften
zu einer Million. Das Angebot richtet sich eindeutig an ein anderes, finanzkräftiges Klientel, das nur die
Profitmaximierung des Bauunternehmers zum Ziel hat. Und die „Nachverdichtung“, die hier ebenso we-
nig der Wohnungsnot Abhilfe schafft, steht einem sehr viel dringlicherem Konzept entgegen – dem kli-
matischen Zukunftskonzept des städtischen Wohnungsbaus! Es ist hinlänglich bekannt, dass die Über-
hitzung der Städte nur verhindert werden kann, wenn ausreichend Grünflächen mit Bäumen geschaffen
werden können – oder bereits vorhanden sind. Wir hätten hier einen Stadtteil, der für diese Zukunfts-
aufgaben gerüstet wäre und er wird gerade der Nachverdichtung geopfert bzw. dem Scheinargument
der Wohnraumschaffung. Sollten Präzedenzfälle wie Kastenauer Straße 31, 22 oder Ulmenweg 7
Schule machen, dann wird die Kastenau in 20 Jahren von oben betrachtet eine schwarzgraue Fläche,
bestehend aus anthrazitfarbenem Betonpflaster, schwarzen Dächern und vollgeparkten Straßen sein,
in der kein Grün mehr Platz findet.
Es ist ja verständlich, dass Familien auf ihren Grundstücken Wohnraum für die Nachkommen schaffen.
Es ist verständlich, dass man die alten Häuser aus den 30ern gerne durch modernere ersetzen möchte.
Aber es ist nicht hinnehmbar, wenn aus bloßer Profitgier die Kastenau versiegelt und gentrifiziert wird.
Dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, liegt in der Verantwortung der Einheimischen, die ihre Grund-
stücke bitte nicht irgendwelchen Investoren überlassen möchten, aber auch in der Verantwortung der
Stadt Rosenheim, die nicht dazu gezwungen ist, Unternehmerinteressen zu unterstützen, sondern Ver-
antwortung dafür trägt, dass sich ein Stadtteil wie die Kastenau langfristig positiv und nachhaltig entwi-
ckelt.
Und jetzt ist hier noch nicht einmal die Rede von den 100 Wohneinheiten auf dem Gelände des Kaste-
nauer Hofs, die einer„sozial bedürftigen Mittelschicht“ zugutekommen sollen!